Vom Schloss zu einer Reise ins All starten
Im Weserrenaissance-Museum Schloss Brake in Lemgo ist bis zum 25. Mai die Sonderausstellung „Alles außer irdisch. Sternstunden der Astronomie“ zu sehen.
„Wunderbar!“ Der ältere Herr rückt seine Brille zurecht und berührt mit der Nasenspitze fast das Glas der Vitrine vor ihm. „Wahnsinn, so filigran!“ Er ist sichtlich beeindruckt. Was den Mann so in Verzückung bringt, ist ein sogenannter Himmelsglobus, bei dem der Sternenhimmel von außen auf der Kugel dargestellt ist. Das seltene Stück aus dem 16. Jahrhundert gehört zu den Exponaten, die zurzeit im Weserrenaissance-Museum Schloss Brake in Lemgo im Rahmen der Ausstellung „Alles außer irdisch. Sternstunden der Astronomie“ zu sehen sind. Der Globus ist eine Leihgabe von „Hessen Kassel Heritage“. Die Organisation betreut unter anderem die kunsthistorischen Sammlungen in Kassel.
Im Weserrenaissance-Museum ist das Exponat genau am richtigen Ort – nicht nur thematisch: Auf Schloss Brake lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1613 Graf Simon VI. zur Lippe. Zu den besonderen Interessen dieses wissenschaftlich und künstlerisch gebildeten Renaissancefürsten gehörte die Astronomie. Zur Ausstattung seiner „Wunderkammer“ soll auch ein Himmelsglobus gehört haben. „Dieser lokale Bezug ist auch ein Grund, warum wir dieses an sich schon spannende Thema für die Ausstellung gewählt haben“, hatte Museumsleiterin Silvia Herrmann zur Ausstellungseröffnung im November betont.
Kuratorin Dr. Susanne Hilker kennt viele Details zum damaligen Hausherren, unter dessen Ägide das Schloss im Stil der Weserrenaissance ausgebaut wurde: „Wir können davon ausgehen, dass Graf Simon vom Schlossturm aus mit einem Fernrohr die Sterne beobachtete.“ Der gebildete und sprachbegabte Graf war Hofrat und Kammerherr Kaiser Rudolfs II. und für diesen in zahlreichen diplomatischen Missionen an vielen europäischen Höfen zu Gast. Dort lernte er zahlreiche Künstler und Wissenschaftler kennen. „Diese Kontakte haben ihn motiviert, selbst zu forschen“, sagt die Kuratorin. Unter anderem trug er eine umfangreiche Bibliothek zusammen, die im Schlossturm untergebracht war.
Die Bücher gingen ebenso wie die übrigen Sammlungen Simons nach seinem Tod zum allergrößten Teil verloren, doch konnten für die Ausstellung zahlreiche interessante Stücke aus dieser Epoche ausgeliehen werden. Neben dem Himmelsglobus mit Sternenbildern wurden ein weiterer automatischer Himmelsglobus sowie ein Proportionalzirkel von „Hessen Kassel Heritage“ zur Verfügung gestellt. Im Gewölbe des Schlosses sind weitere eindrucksvolle Exponate zu sehen. Dazu zählen unter anderem faszinierende Sternkarten, kolorierte Grafiken, astronomische Geräte, ein historisches Fernrohr sowie eine originale Sonnenuhr. „Beim Landesverband Lippe unterstützen sich die unterschiedlichen Einrichtungen gegenseitig. Freuen kann man sich daher auch auf Leihgaben der Lippischen Landesbibliothek und des Lippischen Landesmuseums sowie auf ein Exponat des Vereins Carving Burg Sternberg, der aus einem zwei Meter hohen Holz einen Mars herausgearbeitet hat“, so Jörg Düning-Gast, Verbandsvorsteher des Landesverbandes Lippe.
Die unendlichen Weiten des Universums
Eine Ausstellung über die unendlichen Weiten des Universums an einem räumlich eher begrenzten Ort: Das Team des Museums hat aus dieser Not eine Tugend gemacht und Originalexponate mit Fotografien sowie Mitmachstationen kombiniert. Schon beim Betreten des ersten Ausstellungsraumes taucht man in einen anderen Kosmos ein. An den Wänden hängen faszinierende Fotografien von Planeten wie dem Mars, Saturn und Jupiter. Man sieht aber auch großformatige Bilder von planetarischen Nebeln, Kugelsternhaufen und verschiedenen Galaxien, die teilweise bis zu 240 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Die Fotos stammen überwiegend von Klaus Eikmeier von der Internationalen Amateur-Sternwarte (siehe auch Dom-Ausgabe Nr. 32/2024). Er hat die Fotos teilweise in Lemgo, aber auch in Namibia aufgenommen. Die Planeten-Fotos stammen direkt von der Europäischen Weltraumorganisation ESA.
Auf dem Weg zum zweiten Ausstellungsraum bekommt man durch farbige und sich bewegende Projektionen den Eindruck, sich direkt im Weltall zu befinden. Eine gute Einstimmung für die eindrucksvollen Exponate, die im Gewölbe ausgestellt werden. Zwischendurch gibt es die Möglichkeit, sich an einer Selfie-Station auf einer Mondlandschaft in Szene zu setzen.
Weitere Stationen, an denen die Besucher selbst aktiv werden können, machen die Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes „begreifbar“. Sie wurden vom „Haus der Astronomie“ in Heidelberg entwickelt und für Lemgo nachgebaut. Sowohl Kinder als auch Erwachsene können an den zehn Stationen beispielsweise herausfinden, wie viel sie auf dem Mond wiegen. Sie dürfen am Exoplaneten-Glücksrad drehen, durch ein Fernrohr schauen, Planeten-Memory spielen oder tatsächlich einen echten Meteorit aus dem 16. Jahrhundert anfassen.
Das Wissen einer anderen Zeit
Jedes Exponat ist eine intensive Betrachtung wert – zum einen, weil oft schon die künstlerische Ausfertigung fasziniert, zum anderen, weil die Ausstellungsstücke zeigen, wie groß das Wissen zu einer Zeit war, als die technischen Möglichkeiten der Forscher und Wissenschaftler im Vergleich zu heute noch sehr gering waren. Umso beeindruckender sind die Theorien und Modelle, die sie entwickelten.
Natürlich begegnet den Besuchern auch der ehemalige Hausherr Graf Simon. So erfährt man zum Beispiel, dass der junge Graf während eines Aufenthaltes am Hof von Landgraf Wilhelm IV. in Kassel – dieser war selbst ein ausgezeichneter Astronom – die Explosion eines Sterns beobachtete. Ein Erlebnis, das zu einer Initialzündung wurde und den Adligen für die Sternenkunde begeisterte: Simon nutzte den Schlossturm in Brake als Sternwarte und trug eine umfangreiche Bibliothek zum Thema zusammen. Dazu gehörte unter anderem der in der Ausstellung gezeigte Sternatlas des Augsburger Juristen und Astronomen Johannes Bayer, der 1603 erschien. Kontakte hielt Simon zur Lippe auch zu dem Schweizer Uhrmacher, Astronom und Mathematiker Jost Bürgi (1552–1632). Bürgi, der unter anderem die erste Uhr mit Sekundenzeiger konstruierte, stand im Dienst des Kasseler Landgrafen und war unter anderem für die Wartung von Uhren zuständig. Der geniale Schweizer entwickelte außerdem Messinstrumente wie den ausgestellten Proportionalzirkel und den automatischen Himmelsglobus. Für Simon zur Lippe fertigte Bürgi astronomische Instrumente und Uhren an. Zwischen 1594 und 1597 hielt er sich mehrfach in Brake auf.
Im Austausch stand der Schlossherr von Schloss Brake auch mit dem herausragenden dänischen Astronomen Tycho Brahe (1546–1601). Brahe schenkte Graf Simon eine Abschrift seines ebenfalls in der Ausstellung gezeigten Buches „Astronomiae Instauratae Mechanica“ („Die neuere Astronomische Instrumentenlehre“) aus dem Jahr 1598 mit einer persönlichen Widmung.
Wissenschaft und Kirche
Zum Verhältnis zwischen Wissenschaft und Kirche gibt es ebenfalls einiges zu erfahren; zu den Exponaten zählt eine Karte des sogenannten „Christlichen Sternenhimmels“: Im 17. Jahrhundert gab es Bestrebungen, Sternbilder nach biblischen Vorbildern zu benennen. Der Augsburger Astronom und Augustinermönch Julius Schiller veröffentlichte 1627 einen „Atlas des christlichen Sternenhimmels“. Darin tragen die Sternbilder die Namen biblischer Figuren und Objekte. Der Erzengel Gabriel zum Beispiel ist der Pegasus. Andromeda wurde zum Heiligen Grab. Orion ist das christliche Sternbild Josef und König David kennen wir als Großen Hund. Die Figuren des neuen Testaments finden sich in Schillers Karte vorwiegend am nördlichen Sternenhimmel, die des alten im südlichen. Aus den zwölf Tierkreiszeichen wurden die zwölf Apostel. Die Karte ist so gezeichnet, als blicke Gott von außen auf die Himmelskugel. Schiller starb im Erscheinungsjahr. Die christlichen Sternbilder blieben ein Kuriosum, nach ihrem „Schöpfer“ wurde aber immerhin 1935 ein Krater auf dem Mond benannt.
Auf den Info-Tafeln zwischen den Exponaten gibt es einige interessante Entdeckungen zu machen. So etwa im Zusammenhang mit Raketen oder Kometen. So gab es Raketen schon Jahrhunderte vor dem Flug ins All oder zum Mond. Zum ersten Mal wurde ein Raketenstart in China dokumentiert; und zwar 1232. Der Chinese Wan Hu wollte um 1500 mit einer Reihe von mit Schießpulver gefüllten Bambusrohren, die an einem Stuhl befestigt waren, ins All fliegen. Die Explosion seines „Feuerstuhls“ kostete ihn zwar das Leben, brachte ihm aber ebenfalls die Benennung eines Mondkraters nach ihm ein. In Europa startete die erste dokumentierte Rakete 1555 in Siebenbürgen. Der Waffenbauer Conrad Haas hatte sie nicht nur entwickelt, sondern auch den Begriff „Rackette“ geprägt. Seine Konstruktion war sogar schon mehrstufig, „Versuchsträger“ im wahrsten Sinne des Wortes waren Tiere, denen er die Geschosse umband.
Faszination und auch Panik
Die Ausstellung macht aber auch deutlich, dass Himmelskörper die Menschen nicht nur in Faszination, sondern auch in Panik versetzen können. Wie der Halleysche Komet im Jahr 1910. Nachdem Forscher in seinem Schweif hochexplosives Giftgas entdeckt hatten, sahen viele Menschen das Ende der Welt gekommen. Die einen schafften sich Gasmasken an, andere wollten zum Mond auswandern und wieder andere warteten in Leichenhemden gekleidet auf den Untergang …
„Wir möchten mit dieser neuartigen Ausstellung nicht nur informieren, sondern auch inspirieren. Astronomie ist ein Thema, das viele Menschen fasziniert. Wir verfolgen mit der Kombination aus historischen Exponaten und interaktiven Elementen einen modernen Vermittlungsansatz von Museen“, hatte Dr. Michael Zelle, Direktor des Lippischen Landesmuseums und des Weserrenaissance-Museums Schloss Brake, zur Eröffnung gesagt.
Anregungen, sich auf die Spuren der „Himmelspioniere“ zu begeben, sind in der Ausstellung auf jeden Fall reichlich zu finden. Gelegenheit dazu ist noch bis zum 25. Mai.
Hintergrund
Schloss Brake ist ein Wasserschloss der Weserrenaissance in Lemgo. Das 1986 dort eröffnete Museum widmet sich in erster Linie der Kunst- und Kulturgeschichte des 16. und frühen 17. Jahrhunderts in Nord- und Westdeutschland.
Die aktuelle Sonderausstellung „Alles außer irdisch. Sternstunden der Astronomie“ ist von dienstags bis sonntags von 10.00 bis 18.00 Uhr zu sehen. Der Eintritt beträgt 7 Euro. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben freien Eintritt. Nähere Informationen – auch zum umfassenden Programm rund um die Ausstellung – gibt es online (www.museum-schloss-brake.de).
Die nächsten öffentlichen Führungen finden am Sonntag, 19. Januar, sowie am Sonntag, 16. Februar, jeweils um 15.00 Uhr statt.