Derzeit ein alltäglicher Anblick: Wahlplakate zur Europawahl am 9. Juni.
Foto / Quelle: imago/Wolfgang Maria Weber

„Wählt christlich“

Europa hat mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. In einigen Ländern werden rechtsextreme Kräfte bedrohlich stark. Die Kirchen in Deutschland rufen dazu auf, bei der Europawahl am 9. Juni demokratische Parteien zu unterstützen.

Paderborn.
Von Andreas Lesch

Die Gefahr komme oft langsam und unmerklich, sagt Bischof Franz-Josef Overbeck, in vielen kleinen Schritten. Die Gefahr, dass das Fundament unserer freien Gesellschaft durch Rechtsextremisten untergraben wird. „Wir Christinnen und Christen haben die Pflicht, immer und entschieden zu widersprechen, wenn zum Beispiel menschenfeindliche oder demokratieverachtende Wertungen geäußert werden“, sagt er.

„Wenn wir das nicht tun, werden Rechtsextreme weiter die Grenzen des Sagbaren verschieben.“Der Essener Bischof vertritt Deutschland in der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) und blickt mit Sorge auf die anstehende Europawahl. Denn in etlichen Ländern haben rechtsextreme Parteien in jüngster Zeit an Zustimmung gewonnen.

Die deutschen Bischöfe haben kürzlich bereits klargestellt, die AfD, in der eine völkisch-nationalistische Gesinnung dominiere, sei für Christinnen und Christen nicht wählbar. Overbeck betont nun: „Es braucht eine Orientierung an Parteien mit einem pro-europäischen und weltoffenen Programm. Keinesfalls sollte die Europawahl für eine Protestwahl missbraucht werden – dafür ist die EU zu wichtig für unser Zusammenleben.“Die EU sei „ein weltweit einzigartiges Friedens- und Demokratieprojekt“, dessen Werte und Prinzipien wesentlich vom Christentum geprägt seien, so Overbeck. Sie ermögliche Freiheit, den Schutz der Menschenrechte und die Sicherheit des Rechtsstaats.

Warnung vor Nationallismus

Der Bischof befürchtet, „dass bei der Wahl solche Kräfte noch stärker werden, die dieses Europa und diese Demokratie nicht wollen und sie bekämpfen“. Diesen Kräften müssten Christen sich entgegenstellen: „Es ist unsere Aufgabe, aus christlichem Glauben und demokratischer Überzeugung heraus für diese EU und für unsere Demokratie einzustehen.“ Auch ein gemeinsamer Aufruf der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) warnt „eindringlich vor politischen Kräften, die im Sinne eines völkischen Nationalismus das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten oder Herkunft ablehnen und unverblümt die Abschaffung der EU anstreben“.

Die Kirchen betonen, „dass wir eine starke und geeinte EU brauchen, um die aktuellen Herausforderungen gemeinsam anzugehen und unsere Freiheit, unsere Gemeinschaft und unseren Wohlstand zu bewahren“.Oft ist es schwer für die EU, eine politische Linie zu finden, die einig ist und in der sich gleichzeitig die einzelnen Mitgliedsländer mit ihren Interessen wiederfinden. Zumal die autoritären Mächte China und Russland immer wieder versuchen, die demokratische EU zu spalten – zuletzt Chinas Staatschef Xi Jinping bei seiner Europareise nach Ungarn und Serbien. Overbeck hat Verständnis dafür, dass es schwer ist, in Zeiten verschiedenster Großkrisen eine klare, einheitliche Linie zu halten – besonders in einer so vielfältigen Gemeinschaft wie der EU. Er sagt aber auch: „Ich wünsche mir, dass die Mitgliedstaaten in vielen Fragen weniger auf ihre Souveränität pochen als vielmehr untereinander Solidarität zeigten.“ Und: „Wenn die EU nicht so oft zerstritten wirken würde, könnten sich vielleicht noch mehr Menschen für sie begeistern.“„Wir leben in Zeiten massiver geopolitischer Veränderungen“

Gewaltige Fragen

Fest steht: Die Fragen, mit denen Europa heute und in den kommenden Jahren konfrontiert ist, sind gewaltig und lassen sich nur gemeinsam beantworten: Wie können wir unsere Länder klimafreundlich umbauen, die Menschen dabei zum Mitmachen motivieren – und sie gleichzeitig vor den extremsten Auswirkungen der Erderhitzung schützen, die sich jetzt schon nicht mehr vermeiden lassen? Wie können wir Migration auf vernünftige Weise steuern – so, dass schutzbedürftigen Flüchtlingen geholfen wird und gleichzeitig die einheimischen Gesellschaften nicht überfordert werden? Und wie können wir uns schützen gegen Russland, dessen Diktator Wladimir Putin seit mehr als zwei Jahren in der Ukraine einen Angriffskrieg führt und auch dem Westen immer wieder ganz offen mit Angriffen droht?

„Wir leben in Zeiten massiver geopolitischer Veränderungen“, sagt Overbeck. Der Angriff Russlands auf die Ukraine sei dafür „ein Beispiel mit besonders starker Symbolkraft“ und er zeige einen globalen Systemkonflikt: Demokratien gegen Autokratien und Diktaturen.  Als Folge des Kriegs in der Ukraine sei in der EU das Bewusstsein gewachsen, dass wir realen militärischen Bedrohungen gegenüberstehen – und dass wir in vielen Wirtschaftsbereichen existenziell abhängig von anderen Weltregionen sind. Wenn wir den Frieden in Europa erhalten wollten, sagt Overbeck, müssten wir unsere Verteidigungsfähigkeit stärken und die wirtschaftlichen Abhängigkeiten verringern.All diese Aufgaben sind kompliziert. Sie werden nur von Politikern gelöst werden können, die Frieden, Freiheit und Demokratie schätzen. Und die die christlichen Werte achten, auf denen die EU basiert.

Zur Person

Franz-Josef Overbeck (59) ist Bischof von Essen und vertritt Deutschland seit 2018 in der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE). Die COMECE hat ihren Sitz in Brüssel und bringt die kirchlichen Positionen in der Europapolitik ein.

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