3 Min.
18.06.2024
Foto / Quelle: on unsplash

Wenn jemand zum reden fehlt

Einsamkeit wird zum Dauerbrenner. Derzeit läuft eine Aktionswoche, um sie aus der Tabuszone zu holen.

Bonn

Jüngere und Ältere, Frauen und Männer, Alleinstehende und Menschen in Beziehungen: Einsamkeit trifft viele. Seit der Corona-Pandemie hat das Thema Konjunktur. Manche Forscher sprechen von einer „neuen Epidemie“; Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat eine Strategie gegen Einsamkeit entwickelt. Ein eigenes Ministerium gibt es in Großbritannien schon seit 2018, 2021 zog Japan nach.

Neu ist das Thema allerdings nicht, sagt die Geschäftsführerin der Telefonseelsorge, Lydia Seifert. Ein Viertel der Gespräche, die die Ehrenamtlichen jährlich führen, drehe sich um Einsamkeit. Allerdings sei das oft schambehaftete Gefühl durch die Pandemie „besprechbarer“ geworden. Seit der Zeit der Lockdowns haben viele Menschen zumindest eine Ahnung davon, wie schmerzhaft unfreiwillige Einsamkeit sein kann. Jede und jeder Sechste fühlt sich „oft einsam“, wie eine Erhebung des Statistischen Bundesamts im Frühjahr zeigte – also deutlich nach dem Pandemie-Ende.

Einfache Tipps sind oft kontraproduktiv

Forscher und Politikerinnen betonen, dass dieses Gefühl körperlich krank machen könne – und dass es unbedingt von einem selbstgewählten Alleinsein unterschieden werden müsse. Vorübergehend könne Einsamkeit durchaus zum Leben dazugehören, sagt Seifert. In solchen Fällen, die oft nach einem Jobwechsel oder Umzug aufträten, könne man „ganz anders gegensteuern“ als bei chronisch einsamen Menschen. Diese machten jedoch die Mehrheit derjenigen aus, die sich mit dem Thema an die Telefonseelsorge wenden – häufig fehle ihnen „einfach jemand zum Reden“.

Ratschläge wie „nehmen Sie doch mal Kontakt auf“, etwa in Bezug auf die Nachbarschaft, seien dann kontraproduktiv, weiß die Expertin. Entscheidend sei, zuzuhören und nachzufragen, was die betroffene Person brauche. „Oft hilft schon das Gefühl: Hier werde ich gehört.“

Auch Jüngere sind betroffen

Dass Einsamkeit vor allem ältere Menschen betrifft oder gar ein unausweichliches Schicksal im fortgeschrittenen Alter ist – mit solchen Vorstellungen haben zuletzt mehrere Studien aufgeräumt. Seit der Pandemie leiden Jugendliche und junge Erwachsene verstärkt unter Einsamkeit. Sie hätten in einer wichtigen Lebensphase gelernt, sich zurückzuziehen, sagt der Politikwissenschaftler Martin Bujard. Dies habe ihr Verhalten möglicherweise dauerhaft verändert. Menschen, die während der Pandemie 30, 40 oder 50 Jahre alt waren, seien danach zu ihren üblichen Mustern der Kontaktpflege zurückgekehrt, „während es bei den Jüngeren diesen Standard noch nicht gab“.

Zugleich gehe es für Jugendliche oft darum, sich vom Elternhaus abzukoppeln und neue Strukturen zu schaffen, also gewissermaßen um einen natürlichen Umbruch, sagt Seifert. „Wenn sie so reflektiert sind, dass sie ihr Einsamkeitserleben benennen, dann sind sie schon auf einem guten Weg.“ Ältere Menschen umschrieben ihre Erfahrungen dagegen eher: „Wenn sie sich als einsam bezeichnen, klingt das für sie so, als würden sie ‚es nicht schaffen‘.“

 Nicht allein Aufgabe der Politik

Schwierig bleibt es also, mit dem Thema umzugehen – zumal Fachleute vor neuer Stigmatisierung warnen. Rechtspopulisten versuchen laut Bujard mitunter gezielt, einsame Menschen anzusprechen. Aber: „Nicht alle Einsamen sind eine leichte Beute für Populisten“, betont der stellvertretende Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.

Sozialverbände fordern, öffentliche Begegnungsorte zu fördern, etwa Bibliotheken, Schwimmbäder, Ärztehäuser oder inklusive Schulen und Kitas. Seifert sieht auch die Kirchen gefragt, etwa „Anknüpfungspunkte jenseits von Gottesdiensten“ anzubieten. „Die Politik kann das Problem nicht alleine bewältigen“, sagt sie. Wichtig sei zudem, Hilfsangebote dauerhaft zu finanzieren.

Manchem, der einsam ist, fehlen enge Vertraute – anderen ein stabiles Netzwerk an Kontakten. „Beides kann ein Signal dafür sein, dass man soziale Beziehungen überprüfen sollte“, sagt Seifert. Wie auch bei anderen Krisen-Symptomen helfe es vielen Betroffenen, Ideen zu entwickeln und selbst aktiv zu werden. Und das am besten so früh wie möglich, denn: „Je länger jemand einsam ist, desto häufiger deutet man die Umgebung negativ – und desto mehr verfestigt sich das Problem.“

(KNA)

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen