Wo das Bier literweise fließt
Sie gehören zu den Hauptanziehungspunkten der Libori-Festwoche: Die in Rot und Gelb gekleideten „Jubelhennesse“ füllen die Bierkrüge der Besucher am Bierbrunnen vor dem Rathaus. Die Tradition reicht ein halbes Jahrhundert zurück. Was hat es damit auf sich?
Paderborn 1971. Fünf auffällig gekleidete junge Männer verkaufen Liboriplaketten im Südringcenter. Sie sollen für die 450-Jahr-Feier der Liborikirmes den Absatz der Plaketten anheizen. Pro Stück kosten sie eine Mark. Wo- hin sie auch kommen, sorgen die „Jubelhennesse“ – so werden die fünf genannt – für Aufsehen: Sie tragen ein Barett, rot-gelbes Hemd, roten Wams mit aufgesetzter Manschette, weiße Hose und schwarze Stiefel. Das Kos- tüm erinnert an das Paderborner Stadtwappen.
Franz Pieper hat die Werbefigur für Plakate und Merchandisingartikel erfunden. Der Werbeleiter des Unternehmens Klingenthal hat neben den Jubelhennessen auch den berühmten Bierbrunnen vor dem Rathaus erfunden, der vermutlich auf ein Vorbild in Lübbecke zurückgeht. Das Grundprinzip schildert Wilhelm Grabe in dem Buch „500 Jahre Libori“: „Jeder, der für 2 DM ein Bierglas mit dem Bild des Jubelhennes erwarb, hatte für die Dauer des Bierbrunnenbetriebs Anrecht auf das Freibier des Brunnens.“
Zweieinhalb Hektoliter Gerstensaft hatte das Komitee Europatag gestiftet. Nachdem der Bürgermeister und sein Stellvertreter am Eröffnungstag die ersten beiden Holzfässer angestochen hatten, floss das Bier in Strömen. Dazu gab es ein Unterhaltungsprogramm. Der Durst war groß: Bereits am ersten Tag wurden von 6000 Trinkgefäßen etwa 1500 verkauft.
Liborimotive wechseln jährlich
Die Motive der Biergläser wechselten jährlich. Sie zeigten Paderborner Sehenswürdigkeiten in Verbindung mit der Jahreszahl und dem Symbol der Libori-Woche. Bis zu seinem Tod gestaltete Franz Pieper die Gefäße, ihm folgten diverse Künstler. Schnell wurden die Gläser zu Sammelobjekten.
Aber nicht nur die Biergläser wurden künstlerisch gestaltet – im Jahr 1972 entwickelten das Komitee Europatag und die Paderborner Brauerei das Konzept des Bierbrunnens weiter. Ein 3000-Liter-Holzfass wurde mit zwei Zapfhähnen versehen und zum Bierbrunnen umfunktioniert. Die beiden Fußböden schnitzte der Drechslermeister Heinrich Mischke und versah sie mit dem Porträt des Schutzheiligen der Brau- er, des Königs Gambrinus, sowie mit Hopfenranken.
Aus diesem Bierbrunnen wurde von nun angezapft. Und zwar teilweise mit solch einer Schnelligkeit, dass ein Zapfrekord 1980 es ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte. Brauereimitarbeiter Kurt Rocholl füllte mit seinen bei- den Assistenten Karl-Heinz Schlebrügge und Rainer Müller 3360 Gläser Bier in nur 90 Minuten. Drei Jahre später wurde dies von Rainer Müller getoppt, der in genau 70 Minuten 600 Liter Freibier in 3000 Gläser laufen ließ.
Wo das Bier literweise floss, waren auch alkoholisierte Freibierjäger nicht weit. Gegen die „Dauertrinker“ und „Alkoholleichen“ ging das Komitee Europatag 1982 vor: Bierbrunnengläser konnten die Gäste nur noch mit vier Wertmarken – später fünf – erwerben. Diese konnten am Tresen eingelöst werden.
Kritik gab es aber auch wegen Engpässen bei den Sanitäranlagen und fehlender Jugendschutzmaßnahmen. Das Westfälische Volksblatt trauerte Auftritten der Buker Husaren oder von anderen Musikzügen hinterher und bemängelte, dass die Musik „aus der Konserve“ oder von den Bands so laut sei.
Zu dem Bierbrunnen kommt noch ein Kulturbrunnen hinzu
Eine zentrale Änderung stand 2009 an: Nach der Selbstauflösung des Komitees Europatag übernahm die Stadt Paderborn die Organisation des Spektakels. Zu dem Bierbrunnen kam noch ein Kulturbrunnen hinzu. Abends gab es ein täglich wechselndes Kontrastprogramm aus Rock, Reggae oder Straßenmusik auf einer großen Bühne vor dem Rathaus.
Die Beliebtheit des Bierbrunnens zeigte sich auch während des Pandemie-Jahres 2020. Im Livestream verfolgten 5500 Zuschauer den Fassbieranstich von Bürgermeister Michael Dreier. Wie im vergangenen Jahr findet auch in diesem Jahr der Bierbrunnen mit den Jubelhennessen wieder wie gewohnt statt.
Während die Jubelhennesse im ersten Jahr halfen, 30 000 Liboriplaketten zu verkaufen, füllen sie heute traditionell die Bierkrüge der Besucher. In den Anfangsjahren verkauften sie zudem Lose für die Bierbrunnentombola, begleiteten den Europazug durch die Innenstadt und halfen, Ordnung zu halten. Das Aufnahmeritual bei den Jubelhennessen erfolgt übrigens – wie nicht anders zu erwarten – mit der Biertaufe.
// Helena Mälck