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04.06.2024
„Menschen wie ich sind notwendig in der Gesellschaft, weil wir etwas leisten. Jeder sollte die Chance haben, sein Leben zu führen, wie er möchte – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Behinderung.“
Foto / Quelle: Helena Mälck

Wozu sind Sie da, Herr Ryng?

Martin Ryng ist contergangeschädigt und kam ohne Beine und mit sehr kurzen Armen auf die Welt. Seit 14 Jahren ist er freischaffender Künstler.

Mir ist es wichtig zu sagen: Menschen wie ich sind notwendig in der Gesellschaft, weil wir etwas leisten. Jeder sollte die Chance haben, sein Leben zu führen, wie er möchte – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Behinderung. Wenn Kinder mich fragen, wo ich meine Arme und Beine gelassen habe, antworte ich scherzhaft, dass ich sie vergessen habe. Erwachsene hingegen sprechen mich meistens direkt auf Contergan an. Für manche ist es ein Problem, andere sind neugierig und haben Fragen.

Seit mehr als 14 Jahren bin ich nun freischaffender Künstler. Großes Interesse an der Kunst hatte ich bereits in meiner Kindheit. Besonders faszinierten mich die Effekte in Science-Fiction-Filmen. Als ich meinen ersten Laptop bekommen habe, habe ich dies selbst ausprobiert. 2004 bin ich aus meiner Heimat Polen nach Bielefeld gezogen, habe die deutsche Sprache gelernt und an der Fachhochschule Grafik und Kommunikationsmedien studiert. Nebenbei fertigte ich digitale Kunstwerke an.

Mit digitaler Kunst kann ich neue Welten schaffen. Ich kann das machen, was realistisch nicht umsetzbar wäre. Mein Schwerpunkt sind biblische Motive. Ich bin in einer katholischen Familie aufgewachsen, habe dort meine Wurzeln. Gleichzeitig ist der Glaube für mich ein Antrieb für das Leben und für das Schaffen – und nicht für das Aufgeben. In meiner Kunst befasse ich mich auch mit schwierigen Themen wie Krankheiten und Leiden. Wenn mich etwas beschäftigt, übertrage ich das in meine Werke. Meine Behinderung spielt hierbei eine große Rolle.

Ein Vorteil an der digitalen Kunst ist es, dass ich leicht Korrekturen vornehmen kann. Am Computer arbeite ich mit meiner Hand und nutze die Maus – oder ich zeichne am Tablet. Wenn ich etwas mit dem Mund oder der Hand auf Papier malen muss, ist es schwieriger, meine Zeichnungen direkt zu verbessern.

„Meine Behinderung schränkt mich in meiner Kunst nicht ein. Im Gegenteil: Durch meine Behinderung ist meine Kunst entstanden. “

Martin Ryng

Meine Behinderung schränkt mich in meiner Kunst nicht ein. Im Gegenteil: Durch meine Behinderung ist meine Kunst entstanden. Ohne sie wäre ich kein Künstler geworden. Sie hat mir meinen Lebensweg gezeigt. Heutzutage gibt es viele Künstler, und auch die KI versucht, die Kunst immer mehr zu ersetzen. Das wird aber nicht funktionieren, da sie nicht das abstrakte Denken besitzt wie ein Mensch. Es ist schwierig, mit der Kunst meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Deswegen konzentriere ich mich auch auf Logo- und Schmuckgestaltung. Den Schmuck designe ich in einem 3D-Programm, danach wird dieser in 3D gedruckt, und eine Gießerei übernimmt die tatsächliche Umsetzung. Aufgaben, die ich aufgrund meiner Behinderung nicht ausführen kann, übernehmen also andere Leute.

Manchmal habe ich mir gewünscht, keine Behinderung zu haben. Beispielsweise in der Pubertät, als andere auf Dates gingen; später hätte ich gerne meinen Führerschein gemacht, und wenn Pflegekräfte erschöpft sind, würde ich gerne helfen. Um etwas zu erreichen, habe ich das Gefühl, mehr leisten zu müssen.

Wo ich ohne meine Behinderung gelandet wäre, weiß ich nicht. Doch durch sie ist meine Kunst entstanden und sie hat mir meinen Weg gezeigt.

Aufgezeichnet und fotografiert von Helena Mälck

Zur Person

Martin Ryng ist 1984 in Frankenstein in Polen geboren. 2004 zog er nach Bielefeld und studierte dort an der Fachhochschule Grafik und Kommunikationsmedien im Fachbereich Gestaltung. Ryng ist contergangeschädigt und kam ohne Beine und mit sehr kurzen Armen auf die Welt. Seit 14 Jahren ist er freischaffender Künstler.

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