Zwischen Widerstand und Kollaboration

Die Kirchen und der Nationalsozialismus: Das ist eine Frage, die nicht endgültig aufgearbeitet ist. Die Ausstellung „Und vergib unsere Schuld?“ im LWL-­Kloster Dalheim bei Lichtenau verweist im Titel auf die immer noch aktuelle Diskussion über die Rolle von Kirchen und Klöstern während der Nazidiktatur.

Dalheim

Länger als ein Jahr, bis zum 18. Mai 2025, sind die mehr als 200 Ausstellungsstücke in Dalheim zu sehen: Fotografien und Alltagsgegenstände, Briefe und Tagebücher, Erinnerungsberichte und erstmals veröffentlichte Dokumente aus den vatikanischen Archiven.

Der lange Zeitraum der Ausstellung ist ein Indiz für die Bedeutung des Themas. Im Mai 2025 liegt das Ende des Zweiten Weltkrieges und des Naziregimes 80 Jahre zurück. Es sind auch die aktuellen Bezüge, die die Ausstellung wichtig machen. Wie reagieren auf einen wieder aktuell gewordenen nationalistischen Populismus, der sich offen zur Diskriminierung von Minderheiten bekennt? Das ist eine Frage, die sich Kirchen wieder stellt.

Zwischen Widerstand, Wegducken und Widerstand

Im Umgang mit dem Nationalsozialismus schwankte die katholische Kirche zwischen Widerstand, Wegducken und Widerstand. Bis 1933 hatte sie die ­NSDAP abgelehnt. Nach der Machtergreifung im Frühjahr 1933 arrangierte sie sich mit dem System. Bis heute besteht der Verdacht, dass diese Meinungsänderung Ergebnis eines Tauschhandels um das Reichskonkordat war. Für das im Konkordat gegebene Versprechen, die Rechte der Kirche zu schützen, habe das Zentrum, die politische Partei des Katholizismus in der Weimarer Republik, am 23. Mai 1933 dem „Ermächtigungsgesetz“ zugestimmt und die Demokratie verraten. Unter Historikern ist diese Interpretation bis heute umstritten.

Lange hielt das Bündnis nicht. Das Regime forcierte schon bald kirchenfeindliche Übergriffe. 1936 reagierte Papst Pius XI. mit der in Dalheim zu sehenden En­zyklika „Mit brennender Sorge“. Pius XI. beklagte darin die Vertragsverstöße und lehnte die Rassenpolitik der Nazis ab.

Die stärker werdenden antikirchlichen Repressionen hinderten die deutschen Bischöfe nicht, bei Kriegsbeginn 1939 zu Treue und Gehorsam gegenüber dem Führer aufzufordern. Als der systematische Massenmord an kranken und behinderten Menschen begann, predigte der Münsteraner Bischof Clemens Graf von Galen gegen die nationalsozialistische Euthanasie. Doch der offene Widerstand der Amtskirche blieb die Ausnahme.

In der evangelischen Kirche hatte sich bereits 1933 eine „geeinte Reichskirche“ für ein „artgerechtes Christentum“ gebildet, die in Opposition zur „Bekennenden Kirche“ stand, die den Nationalsozialismus weitgehend ablehnte. Den Machthabern genügte selbst das nicht. Sie versuchten, die christlichen Kirchen mit einer nationalsozialistischen Ersatz-Religion zu verdrängen.

Nationalistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar

„Nationalistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar“, heißt es in einem in der Ausstellung dokumentierten Rundschreiben der ­NSDAP. Völkische und germanophile Riten sollten die christliche Liturgie verdrängen. In der Ausstellung ist etwa ein „Julleuchter“ aus dem Besitz eines SS-­Mannes zu sehen, der als neuheidnischer Kultgegenstand bei Sonnenwendfeiern zum Einsatz kam.

Dem wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung gehörte der Münsteraner Theologe Hubert Wolf an. Er ist mit seinen Forschungen zu Papst Pius XII. (1939–1958) bekannt geworden. Diesem Papst wird vorgeworfen, zur Verfolgung und Vernichtung der Juden geschwiegen zu haben. Dabei sei er bestens informiert gewesen. Einige der vielen Briefe, die das katholische Oberhaupt von verzweifelten Bittstellern erreichten, gehören zur Ausstellung.

Die katholische Kirche half mit Einreisevisa, Tickets für Schiffspassagen und Ausreisegenehmigungen aus Italien. Aber der Papst schwieg – aus taktischen Gründen? Wohl auch, weil er glaubte, neutral sein zu müssen, stellt Hubert Wolf im Katalog zur Ausstellung fest. Der moralischen Verpflichtung, „als Stellvertreter Jesu Christi der oberste Anwalt aller Menschenrechte“ zu sein, sei Pius XII. nicht gerecht geworden.

Die Deutschen Christen, eine rechtsextreme Strömung des Protestantismus, versuchten den Glauben an die NS-Weltanschauung anzupassen. Das Mitgliedsabzeichen aus dem Jahr 1932 verbindet Kreuz und Hakenkreuz.
Zeugen Jehovas litten im KZ für ihren Glauben. Das Foto zeigt die Winter-Häftlingshose des KZ-Insassen Werner Edling.

Kirchenvertreter und Ordensleute während der Nazizeit oft in einer bedrohlichen Lage

Trotz der Zurückhaltung an oberster Stelle galten die Kirchen nach dem Krieg als Opfer und Gegner des Regimes. Tatsächlich befanden sich Kirchenvertreter und Ordensleute während der Nazizeit oft in einer bedrohlichen Lage. Sie wurden von der Gestapo beobachtet und waren Ziel öffentlicher Hetze. Priester wurden in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Vor allem Christen jüdischer Herkunft und Zeugen Jehovas verfolgte das Regime mit unbarmherziger Gewalt. Nicht weit von Dalheim befand sich im Ort Wewelsburg das Konzentrationslager Niedernhagen, in dem Zeugen Jehovas gequält, zu Zwangsarbeit gezwungen und ermordet wurden.

Erst seit den 1960er-­Jahren wiesen Historiker auf die Verstrickungen der Kirchen hin. Die Barmherzigen Schwestern des hl. Vincenz in Kaufbeuren-­Bad Irsee trugen dazu bei, dass Patienten verhungerten oder deportiert wurden. In Berlin betrieben 2 katholische und 26 evangelische Gemeinden ein Lager für Zwangsarbeiter. Im westfälischen Marsberg trugen katholische Schwestern ordentlich die bestürzend hohe Zahl von Todesfällen in das Sterbebuch ein, die eindeutig auf Euthanasie und Gewalt hinwies. Das sind nur einige Beispiele für die Kollaboration der Kirchen.

Als die kritische Aufarbeitung begann, war die Gegenwehr innerhalb der Kirchen anfänglich groß. Gelöst ist die Frage nach der Schuld der Kirchen und Klöster bis heute nicht, wie die Ausstellung im Kloster Dalheim beweist.

Karl-Martin Flüter
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